AußenWohnGruppen (AWG)
Im Frühjahr 2004 wandten sich drei junge Männer mit der Diagnose
"Autismus-Spektrums-Störung" (ASS) und ihre Eltern an die Lebenshilfe
Nürnberg. Sie äußerten den Wunsch vom Elternhaus auszuziehen, um in
einer Mietswohnung als Wohngemeinschaft zu leben. Alle drei kannten
sich bereits seit zwei Jahren aus einem vorangegangenen beruflichen
Qualifizierungsprojekt.
Die Lebenshilfe nahm die Herausforderung an. Die Wohnheime BetriebsGmbH sollte als Träger der Wohnform Ambulant Betreutes Wohnen fungieren. ln den Vorgesprächen wurde der direkte Übertritt vom Elternhaus zum Ambulant Betreuten Wohnen als zu groß erachtetet. ln Zusammenarbeit mit dem Bezirk Mittelfranken wurde das Angebot eines Wohntrainings für Menschen mit einer ASS (Autismus-Spektrums-Störung) entwickelt. Da alle Beteiligten mit diesem Projekt Neuland betreten hatten und auf keinerlei Erfahrungen zurückgreifen konnten, wurde das Projekt vorerst auf 2 Jahre zeitlich befristet.
Im Rahmen von Pilotprojekten wurden zwei Wohntrainingsgruppen mit je drei Teilnehmern aufgebaut. Eine Trainingsgruppe bestand aus den drei
jungen erwachsenen Männern mit einer ASS. In der zweiten Trainingsgruppe bereiteten sich drei Frauen mit geistiger Behinderung mit entsprechender Förderung und Betreuung systematisch auf das Ambulant Begleitete Wohnen vor.
Beide befristeten Vorhaben entwickelten sich eindeutig positiv. Zwei von den Frauen konnten nach ca. 2 Jahren erfolgreich in eine Ambulant Begleitete Wohnform über treten. Das Wohnprojekt der drei jungen Männer wurde wissenschaftlich von der pädagogischen Hochschule Heidelberg, Herrn Prof. Klauß begleitet. ln seinem Abschlussbericht benannte Herr Prof. Klauß detailliert die persönlichen Entwicklungserfolge der Teilnehmer am Wohntraining.
Auf eigenen Wunsch sind die Männer im Herbst 2008 innerhalb der Stadt
in eine größere Wohnung umgezogen. ln diese Wohnung zogen nach und
nach 2 weitere Bewohner und Bewohnerinnen ein. Aufgrund des Bedarfs
wurde eine 3. Wohnung angemietet. Aktuell werden 10 Personen in drei
im Stadtgebiet verteilten Wohnungen von den Mitarbeitern der AWG's
begleitet. Drei von den Menschen haben die Diagnose geistige Behinderung, sieben Menschen die einer ASS.Im September 2010 hat ein Mann mit einer ASS nach 2 Jahren in der Außenwohngruppe erfolgreich in eine Ambulant Begleitete Wohnform gewechselt.
Die positiven Erfahrungen im Rahmen der Pilotprojekte führten dazu, dass die Wohnform Wohntraining in der Gesamtkonzeption Wohnverbund nunmehr als fester Bestandteil ist und mit dem Bezirk Mittelfranken eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung für die AußenWohnGruppen (AWG, ehemals Wohntraining) abgeschlossen wurde.
ln den AWG's wird die Sozial-, Selbstkompetenz und die Identitätsentwicklung der Menschen mit Behinderung soweit gefördert, dass selbstbestimmtes Leben in einer Ambulant Begleiteten Wohnform, sowie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben entsprechend dem Lebenshilfe-Grundsatz
"So viel Hilfe wie nötig, so viel Selbstbestimmung wie möglich"
nachhaltig gelebt werden kann. Vermittelt und geübt werden Kenntnisse und Fertigkeiten, um lebenspraktische Aufgaben (Wohnungs-, Zimmerputz, Wäschereinigung, Zubereitung von Mahlzeiten, etc.) weitgehend selbständig bewältigen zu können.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Entwicklung sozialer Kompetenzen (Soft-Skills), um eigene Interessen zu artikulieren, mit der Umwelt in Beziehung zu treten, sich gegenüber Dritten zu behaupten und soziale Interaktion und Integration zu leben. Der Lebensort AWG ist Grundlage für Lernaktivitäten und Entwicklungsschritte, die für das Gelingen des Alltags unerlässlich sind, fördert Hilfe zur Selbsthilfe und sichert den Anteil der individuell notwendigen professionellen Hilfe.
Leitziele wie Eigenverantwortlichkeit, Integration, Persönlichkeits-, Identitätsentwicklung, Normalisierung und Selbstbestimmung erfordern
ein Umdenken in der täglichen Arbeit mit Menschen mit Behinderung. Es
bedarf angemessener Hilfestellung, neuer Lebensformen und -orte nach
längerem stationärem Wohnen oder nach Auszug aus dem Elternhaus.
Hier setzt das Konzept der AWG an. Die Außenwohngruppen entsprechen in
unserem Verständnis einer zeitlich offenen Zwischenstufe auf dem Weg
vom Wohnheim (rund um die Uhr Mitarbeiter vor Ort) und dem Ambulant
begleiteten Wohnen (Mitarbeiter stundenweise anwesend).
Für einige Teilnehmer kann die AWG im Sinne von Selbstbestimmung und
gleichberechtigter Teilhabe eine Alternative zum Lebensort Heim bieten.
Die pädagogisch-therapeutische und heilpädagogische Arbeit besteht
darin, den Menschen Brücken anzubieten, damit sie mit ihrer Umwelt in
Beziehung treten können. Neben allgemeingültigen Regeln (Aufgabenverteilung, Einhaltung der Privatsphäre, Umgang untereinander, etc.), werden die Regeln des täglichen Miteinanders gemeinsam, den jeweils individuellen Erfordernissen der Teilnehmer, Gruppen, Paare angepasst.
Diese Individualität, jenseits von den Erfordernissen einer größeren Institution, eröffnet den Teilnehmern viele Möglichkeiten in Bezug auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, den Erwerb von individuellen Fähig- & Fertigkeiten,den Erwerb sozialer Alltagskompetenzen, sowie der persönlichen Identitätsentwicklung und unterstreicht den praktizierten
Assistenzansatz. Dem zufolge gestalten und organisieren die Teilnehmer
entsprechend ihrer Möglichkeiten ihren Alltag und fordern dort wo nötig die Unterstützung durch die Assistenten ein.
Die wichtigste Basis in der Arbeit mit Menschen mit einer Behinderung
ist die Bereitschaft, sich bewusst auf eine intensive Beziehung zu den
Menschen mit einer Behinderung einzulassen. Insbesondere gilt dies bei
Menschen mit einer ASS. Unter anderem bedeutet es, eigene Blockaden
und Hemmungen zu überwinden, sich mit seiner Persönlichkeit authentisch in diese Beziehung zu begeben, sich seiner eigenen Emotionalität bewusst zu sein und sie zum Ausdruck zu bringen, eigene Schwächen zu zeigen- sie nicht zu überspielen, sowie Bedürfnisse und Befindlichkeiten ebenso zu äußern, wie dies von den Menschen mit einer Behinderung gefordert wird.
Die Biographien verschränken sich, beide sind "Gast" im Leben des Anderen, der Assistent wird zum suchenden Begleiter, der Erfahrungen und Irrtümer zulassen kann. Die Assistenten ertreten dabei anwaltschaftlich die Interessen der Menschen mit Behinderung gegenüber deren Umwelt, wobei sie stets ausloten, dass Würde und Vernunft, sowie die individuellen Interessen des Einzelnen und denen der Allgemeinheit ausgewogen berücksichtig werden.
Die methodische Umsetzung der pädagogischen/heilpädagogischen Ansätze
erfolgt entsprechend der individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten,
als auch an den jeweiligen Wünschen und Interessen der Teilnehmer. Im
kleinen und überschaubaren Rahmen der AWG kann in besonderem Maße
individuell auf die Bedürfnisse von Menschen mit einer Behinderung
eingegangen werden.
Diese Wohnform hat einen sehr persönlichen Charakter. Weitere wichtige Bausteine für den Entwicklungsprozess von Menschen mit einer Behinderung bestehen aus unserer Sicht in der engen Kooperation mit den Angehörigen, den gesetzlichen Betreuern, den tangierenden Einrichtungen (WfBM, etc.). Die Wirksamkeit der geleisteten Arbeit in der Wohngruppe ist in einem hohen Maß von der Qualität der geleisteten Angehörigenarbeit abhängig. Vor allem in der Anfangsphase gestaltet sich der Ablösungsprozess häufig schwierig. Es bedarf oft monatelanger geduldiger Arbeit, bis die Angehörigen und der Mensch mit Behinderung einen weiteren Schritt der Ablösung hin zu vermehrter Selbstbestimmung vollziehen. Ein regelmäßiger offener Austausch mit den Angehörigen ist daher für die Entwicklung des
Menschen mit Behinderung von großer Bedeutung. Dies führt letztlich zu
einem hohen Maß an Identifikation mit dem Entwicklungsprozess bei
allen Beteiligten, welche den Boden für positive Veränderungen bereiten.
Ansprechpartner
Michael Röhrich
Leitung AWG